Standortfaktor Energie

Standortfaktor Energie

Ende Februar berichtete die Hauptausgabe der ARD-«Tagesschau» über die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland. Teil des Berichts: die Meldung, dass Kettensägen-Weltmarktführer Stihl seinen geplanten Ausbau der Produktion nicht in Deutschland, sondern in Wil SG in der Schweiz realisieren will – dabei war das Feld im deutschen Ludwigsburg bereits planiert! Aufsichtsratschef Nikolas Stihl sagte dazu im Interview: «Die Mitarbeiter in der Schweiz verdienen mehr Geld, aber die Gesamtkosten, die sich aus Abgaben, Steuern, Energiekosten und so weiter zusammensetzen, führen dazu, dass die Produktion in der Schweiz mittlerweile tatsächlich günstiger ist als in Deutschland.»

Stihl hat Recht mit seinen Aussagen. Das scheinbare Energiewendevorbild Deutschland hat mittlerweile durch Umlagen und Fördertopfabschöpfungen derart hohe Energiekosten und Steuerlasten, dass die produzierende Industrie aus dem Land flieht. Dass sie aber in ein Hochlohnland wie die Schweiz zieht, muss uns hellhörig machen! In einem vernichtenden Bericht las der Bundesrechnungshof vergangene Woche der deutschen Bundesregierung in Bezug auf deren Energiepolitik denn auch die Leviten. In den Planungen würden nur Best-Case-Szenarien verwendet, Annahmen zum Ausbau der Erneuerbaren seien wirklichkeits­fremd, Auswirkungen auf Natur und Landschaft würden nicht genügend quantifiziert, Systemkosten nicht in die Kosten der Erneuerbaren eingerechnet. Die sichere Versorgung sei gefährdet, die Energiewende drohe zu scheitern. Viele Aussagen im Bericht des Rechnungshofs liessen sich durchaus auf die aktuelle Schweizer Energiepolitik übertragen. Noch sind wir dank der grossen Stauseeprojekte unserer visionären Grossväter nach dem Zweiten Weltkrieg auf Rosen gebettet, was die Stromversorgung betrifft. Dieser Luxus wird aber nicht ewig währen.

Die Flucht der Firma Stihl aus Deutschland in die Schweiz zeigt exemplarisch, dass es noch möglich ist, als Hochlohnland auch für die produzierende Industrie attraktiv zu sein. Nicht jedes Unternehmen will aus Europa wegziehen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Industrie eine andere Wahl bleibt als der asiatische Kontinent als Produktionsstandort. Dafür aber müssen Standortfaktoren wie Energiepreise, Staatsquote, Abgaben- und Steuerlast stimmen und Kompromisse zu den ambitionierten, klimapolitischen Zielen Mitteleuropas gefunden werden. Ist das der Fall, kann die Rechnung für Firmen aufgehen, die unser hohes Lohnniveau als Teil eines Gesamtdeals akzeptieren.

Wir tun also gut daran, Energiepolitik nicht nur an klima-, sondern auch an wirtschafts- und gesellschafts­politischen Zielen zu messen und auszurichten und dabei nicht nur vom Best Case auszugehen. Energie wird in Zukunft ein wichtiger Standortfaktor sein, und wir sollten dem Parlament bei energiepolitischen Entscheiden genau auf die Finger schauen. Eine Menge Arbeitsplätze und Löhne hängen daran, aber eben auch geostrategisch wichtige Produktionskapazitäten, um die wir noch froh sein werden in den konfliktreichen Jahrzehnten, die vor uns liegen.